Die Digitalisierung stellt Marketing-Organisationen und -Entscheider vor Herausforderungen, die dabei selten nur einzelne Unternehmensbereiche, sondern vielmehr die gesamte Unternehmensstrategie, die Unternehmenskultur, die Organisation und alle operativen Prozesse betreffen. Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass anfangs vermeintlich isolierte Digitalprojekte schnell einen kompletten Change-Prozess in allen Unternehmensbereichen erfordern, oftmals verbunden mit einer operativen Restrukturierung. Der Versuch einer Digitalen Transformation bei gleichzeitiger Verteidigung des Bestehenden ist hingegen meist zum Scheitern verurteilt. Damit haben wir hier eine zwiespältige Situation: auf der einen Seite steht das Dogma im Sinne von “Digital is the New Normal“ und eine Legion an Startups, die nur darauf warten, das bisherige Geschäftsmodell zu kannibalisieren, auf der anderen Seite eine Vielzahl an schmerzhaften und kostenintensiven Erfahrungen (und persönlichen Blessuren) aus gemeinsamen Marketing/Vertrieb und IT-Projekten der Vergangenheit, etwa im Umfeld von CRM. Für Kunden und Verbraucher auf der anderen Seite sind digitale Innovationen hingegen längst Teil des Alltags (wie etwa die Nutzung von WhatsApp oder Netflix) und werden in erstaunlichem Tempo adaptiert.

Die Zukunft des Marketings als Schnittstelle zwischen Unternehmen und Konsumenten im Sinne einer
marktorientierten Unternehmensführung wird dabei von einigen wenigen, zentralen Entwicklungen geprägt, zusammengefasst als 10 Thesen zur Zukunft des Marketings:

· Hyper-Individualisierung und Storytelling für spitze Konsumenten-Zielgruppen: Masse in soziodemografischen Zielgruppen wird durch Storytelling für die jeweilige Audience ersetzt.
Die Grundlage: Insights, katalysiert in datengetriebenen Plänen;

· Künstliche Intelligenz zur weitergehenden Automatisierung der Kundeninteraktion: In Chatbots wird hier die Killer-App gesehen, als konsequenter erster Kontaktpunkt die Automatisierung des Kundenkontaktes
neu zu definieren;

· Veränderte rechtliche Rahmenbedingungen: durch die DSGVO und alle damit verbundenen Herausforderungen zur Gewinnung und Speicherung vor allem personenbezogener Daten in Abgrenzung zu Walled Gardens (wie Google, Facebook und Amazon);

· Programmatic-Revolution frisst ihre Kinder: Walled Gardens, deren Werbeverkauf praktisch schon immer programmatisch war, machen es unabhängigen Technologie-Anbietern zunehmend schwer. Die DSGVO befördert (indirekt) tendenziell eher das Erstarken Oligopol-ähnlicher US-geprägter Marktstrukturen;

· 3D-Druck wird erwachsen: massenhafte Individualisierung auch im Endprodukt (Mass Customization)
wird durch den 3D-Druck möglich und schrittweise salonfähig;

· Revolution im Pricing: Daten und Algorithmen erlauben eine massenhafte Differenzierung auch in
der Preissetzung, bis hin zum massenhaften Ausspielen individualisierter Preise. Dies betrifft vor allem
auch das Pricing von Innovationen;

· Marke versus Abverkauf: lag in den letzten Jahren in den meisten Marketing-Abteilungen der Fokus
eher auf Abverkauf (Performance Marketing, Lower Funnel) und wurden in diesem Zuge der Bereich
Brand Management reduziert bzw. abgeschafft, setzt sich nunmehr schrittweise die Erkenntnis
durch, dass Marken als Orientierungspunkte für Konsumenten wichtig sind und in Folge die Markenkommunikation (Brand Marketing, Upper Funnel) gestärkt wird;

· Direct-to-Consumer: getrieben durch die Notwendigkeit, eigene Daten und damit verbundene
Insights über Konsumenten sammeln zu müssen, starten mehr und mehr Unternehmen Direct-to-
Consumer oder auch Omnichannel-Projekte – parallel zu den etablierten Handelsstrukturen als Intermediären;

· MarketingTech: die Umsetzung digitaler Wunschträume erfordert den Aufbau eigener Anwendungslandschaften und die Schaffung intelligenter Integrationsszenarien. Erforderlich werden neuartige Kompetenzen in Form von Marketing Technology Experts.

Die 5 S-Bausteine für ein erfolgreiches Marketing der Zukunft bleiben vor diesem Hintergrund auch in 2020 weiter bestehen 1:

· Science: die Nutzung wissenschaftlicher (multivariater) Verfahren für die Analyse der Customer Journey, der Kundenpräferenzen auf der Grundlage unterschiedlicher Datenquellen (Big Data) im Sinne eines Real-Time Marketing oder auch der Optimierung der Marketing-Ausgaben etwa im Rahmen kausalanalytischer Modellierungen. Dies erfordert nicht nur erhebliches Methodenwissen, sondern auch erweiterte Kenntnisse im Bereich von Marketing-Technologien;

· Substance: das Management der Kundenerfahrungen (Customer Experience Management), konsistent über alle Touchpoints hinweg, inkl. der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen;

· Story: transmediales Storytelling als Instrument eines Content Marketings – also statt Push / Inside-Out eher Pull / Outside-In, quasi als Brückenschlag zwischen Marke und Nutzer im jeweils relevanten Kontext; Digitales
Marketing, Marken-Strategie oder auch Content
Marketing & Optimierung2

· Speed: an die Stelle des vormaligen „Batch-Prozesses“ wandelt sich die Rolle des Marketings zum
permanenten Katalysator und Evangelisten des Kunden, was wiederum eine neue Form organisatorischer Anpassungsfähigkeit – Agilität – erfordert. Nestlé hat etwa sog. „Digital Acceleration Teams“ etabliert, welche die bestehenden funktionalen Einheiten in Feldern wie Social Communication und Performance Marketing trainieren und unterstützen sollen. Das stellt im Kern nichts anderes dar als die Herausbildung cross-funktionaler Teams im (aus der IT bekannten) sog. Overlay-Verfahren;

· Simplicity: die Reduktion von Hierarchien, Silos und Redundanzen innerhalb der Organisation. Ähnlich auch die Vereinfachung der Zusammenarbeit mit externen Partnern wie Agenturen. Ausgehend von dem Primat der Customer Experience wird die gesamte Customer Journey abgebildet und nachverfolgt (als Customer Journey Mapping);

 

1 Gordon, J.; Perrey, J.: The dawn of marketing’s new golden age, in: McKinsey Quarterly, February 2015.

2 Smith, P.: Lead with a Story: A Guide to Crafting Business Narratives that Captivate, Convince, and Inspire, Cincinnati 2012.